Hinsehen und Handeln: Risiko-, Krisen- und Fehlermanagement in der Fallberatung (WorkShop - ImpulsVeranstaltung)


Vorbereitung_Auftaktveranstaltung


Auf- und Ausbau eines Risiko-, Krisen- und Fehlermanagements / anonymisierte Fallberatung / individuelle Fallerörterung mit Einwilligung der Betroffenen
Herr Jeckel + N.N.

15-20min Impuls-Referat + anschließende Diskussion hinsichtlich folgender Fragen:

  • Welche Fragen / Themen / Aspekte sind aus Sicht der Teilnehmer von Bedeutung?
  • Welche Erwartungen hinsichtlich der Erträge der Netzwerkarbeit haben sie? Welche Befürchtungen
  • Welche Möglichkeiten für eigene Arbeitsbeiträge sehen sie?

⇒ Zusammenfassung der Referatsbeiträge durch Referent im Plenum


Ziele:

  • Empowerment: Identifikation mit Netzwerk, Motivation zur aktiven Teilnahme, Motivation es als Informationsbasis für eigene Arbeit zu nutzen aufgrund der fachlichen Qualität
  • Ressourcenerschließung: Erkundung möglicher aktiver Arbeitsbeiträge
  • Zielklärung: Welche Entwicklungsziele sind den einzelnen Akteuren wichtg?

Optimierung der Struktur- und Prozessqualität von Risko-, Krisen- und Fehlermanagements (methodische Instrumene zur Einschätzung des Gefährdungsrisiko & Auswahl erforderlicher u. angemessener Hilfen und Leistungen, Leistungserbringung in Form von Interventionen) ⇒ Schema Prozessablauf (SOLL-Darstellung, evtl. Fragen nach IST-Situation!?)


Vernachlässigung, Misshandlung, sexuellem Missbrauch oder einer Gefährdung im Kontext häuslicher Gewalt wahrgenommen, so müssen diese Beobachtungen immer nach zwei Seiten hin abgesichert werden: Nach möglichen Erklärungen für - im Hinblick auf das Kindeswohl - unbedenklichen Erscheinungsformen und nach möglichen Anzeichen für die Erhärtung einer Kindeswohlgefährdung. Mit der Einbeziehung beider Sichtweisen können Prognosefehler, eine falsch-negative oder eine falsch-positive Prognose, minimiert werden. Eine falsch-negative Prognose wird erstellt, wenn ein objektiv gefährdetes Kind fälschlicherweise als ungefährdet eingestuft wird. Eine falsch-positive Prognose liegt vor, wenn ein tatsächlich nicht gefährdetes Kind als gefährdet beurteilt wird (Wulf 2007, S. 266).

Professionelles Handeln zeichnet sich in dieser Phase dadurch aus, dass die Beobachtungen zunächst wertfrei aufgenommen werden. Inquisitorische Nachforschungen in Richtung einer bestimmten Misshandlungs- oder Missbrauchsvermutung können genauso zu einem Prognosefehler und zu fatalen Fehlschlüssen führen wie die vorschnelle Beruhigung, „dass da nichts dahinter ist".

Bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung sind immer die kollegiale Beratung, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos das Zusammenwirken mehrer Fachkräfte und die Einbeziehung von Vorgesetzten erforderlich. Für die interne Fallsicherung ist der nächste Vorgesetzte unabhängig vom Ergebnis der Risikoabschätzung sowohl über das Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte als auch über die Abschätzung des Gefährdungsrisikos zu informieren (ZBFS - BLJA 2006, S. 3). Die Gründe hierfür sind naheliegend: Zum einen geht es um die intersubjektive Überprüfung der Beobachtungen und ihrer Bewertung, zum andern um die zu verantwortende Entscheidung, von der weiteren Betrachtung des Falls abzusehen oder das zielgerichtete Handeln in der Institution (Jugendamt, Beratungsdienst etc.) und zwischen den verschiedenen Institutionen sicherzustellen.


Diagnostische Schritte bei Gefährdungsfällen aus sozialpädagogischer Sicht Die Abgrenzung einer „dem Wohl des Kindes nicht entsprechenden Erziehung" gemäß § 27 SGB VIII von einer „Gefährdung des Kindeswohls" nach § 1666 BGB ist fließend und von situativen Faktoren abhängig. Jeder Fall ist individuell zu beurteilen. Der Schutzauftrag der Jugendhilfe gemäß § 8a SGB VIII beginnt mit dem Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen.

Soweit der wirksame Schutz des Minderjährigen nicht infrage gestellt wird, hat das Jugendamt die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen einzubeziehen und familienorientierte Hilfen anzubieten.

Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von erzieherischen Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.

Die Abschätzung des Gefährdungsrisikos im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte ist entscheidend für die Wahl eines Beratungs-, Hilfe- und Therapieansatzes, der dem Kind den sozialen Kontakt erhält, aber mit dem Risiko einer weiteren Gefährdung verbunden ist, oder der Einleitung familiengerichtlicher Maßnahmen, die dann zur Trennung des Kindes aus seinen sozialen Bezügen führen, wenn der Gefährdung mit weniger eingreifenden Maßnahmen wie Auflagen oder Weisungen nicht begegnet werden kann. Durch die Verbesserung der Kinderrechte, durch die Ergänzung der §§ 1666, 1666a Abs. 1 BGB ist beispielsweise eine Trennung des Kindes von seiner Familie und gewohnten Umgebung nicht mehr erforderlich, wenn aufgrund einer familiengerichtlichen Entscheidung dem nicht gewalttätigen Elternteil die Wohnung zu überlassen ist.

Die Einschätzung, ob „ein qualitativer und nicht nur ein quantitativer Sprung von einer bloß miserablen Sozialisationssituation' zur Gefährdung' gesehen" werden muss, kann nach dem Ablauf der Diagnoseschemata (siehe folgende Seiten) erfolgen. „Dabei müssen zahlreiche Faktoren in ihrem Zusammenwirken beurteilt werden. Neben Stärke und Dauer des schädlichen Einflusses spielen auch ,moderierende Bedingungen' eine Rolle wie z. B. Alter und Geschlecht des Kindes, seine Persönlichkeit, insbesondere seine Verletzlichkeit, schichtspezifische Merkmale und kompensierende Gegebenheiten im Umfeld" (Harnach-Beck 1995a, S. 375).

Das Diagnoseprogramm zeigt modellhaft den Entscheidungsprozess im Einzelfall auf. Es stellt einen Leitfaden dar, der mit jedem einzelnen Kriterium eine eigene Beurteilung (ja/nein) im Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit erfordert. Wesentlich ist, dass der Beurteilungsprozess zunehmend auf eine Erhärtung eines spezifischen Gefährdungsrisikos fokussiert oder dieses zunehmend ausschließt.

Wichtig dabei ist: erfolgt die Einschätzung, dass das Kind gefährdet ist, hat dies auch die Einleitung entsprechender Hilfen/ Massnahmen zur Folge. So sind den Sorgeberechtigten geeignete und notwendige Jugendhilfeleistungen anzubieten. Für das Kind oder den Jugendlichen ist ein umfassendes individuelle Schutzkonzept zu entwickeln.


Regionale Kinderschutzkonzeption

Die bisherigen Ausführungen haben die Vielfalt von Kooperationspartnern gezeigt und die Notwendigkeit von zuverlässiger und verbindlicher Zusammenarbeit beschrieben. Diese ist qualitätsgesichert festzulegen, denn lose Treffen der Akteure reichen in der Regel nicht aus, um aus den jeweiligen Kooperationspartnern eingespielte Teams zu machen, die in Krisensituationen einen wirksamen Kinderschutz im Einzelfall sicherstellen können.

Wichtig ist, dass in diesen Prozess alle Beteiligten eingebunden sind, damit sich eine Konzeption, die auf den vorstehenden Leitlinien basiert, auch in der Praxis bewähren kann. Die Verantwortung muss von allen, nicht nur vom Jugendamt, getragen werden – angefangen bei den Eltern über das Gesundheitswesen und die Schule bis hin zu Poli- zei und Justiz.

Auch die Evaluation des Deutschen Jugendinstituts zu den Frühen Hilfen hat gezeigt, dass die Wirksamkeit einer Konzeption maßgeblich von der Vernetzung abhängt. Deshalb sollte jedes Jugendamt im Rahmen der Jugendhilfeplanung eine „Regionale Kinderschutzkonzeption“, die alle Hilfen und Zuständigkeiten klar erfasst, gemeinsam mit den Partnern erarbeiten und vom Jugendhilfeausschuss beschließen lassen.

Ergänzt werden sollte diese Konzeption durch die namentliche Benennung der Ansprechpartnerrinnen und Ansprechpartner mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse.


Leitlinien zur Abklärung eines Gefährdungsrisikos im konkreten Einzelfall

Die Einschätzung eines Gefährdungsrisikos ist im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte vorzunehmen. Im Zentrum steht dabei das Ziel, einen optimalen Kinderschutz zu gewährleisten – und zwar von der ersten Mitteilung an bis hin zur erfolgreichen Abwendung einer Gefährdung. Daher beinhaltet der aufzustellende Hilfeplan alle ein- zelfallbezogenen Informationen und Schritte, die dafür notwendig sind:

  • die Gefährdungssituation, um die es geht,
  • die beteiligten Institutionen und Fachkräfte,
  • die Einschätzung von Risiko und Dringlichkeit unter Einbeziehung der insoweit erfahrenen Fachkraft,
  • die Feststellung des Schutzbedarfs,
  • die Planung weiterer Handlungsschritte wie z. B. die Anrufung des Familiengerichts bei notwendigen Eingriffen in das Sorgerecht (z. B. Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts, Übertragung des Rechts auf Antragstellung für Hilfen zur Erziehung),
  • die Organisation von bedarfsgerechten Hilfen wie z. B. Inobhutnahme, Feststellung und Nutzung von Ressourcen des familiären Umfelds, Hausbesuche, polizeiliche Intervention usw.,
  • die klare Zuweisung von Aufgaben und Verantwortungen im Netzwerk für einzelne Schritte,
  • die Festlegung des Zeitplans,
  • die zuverlässige Einhaltung von Absprachen und Auflagen,
  • die Überprüfung.

Leitlinien zum Verhalten von Fachkräften in Fällen vermuteter Kindeswohlgefährdung

Ein auffällig ungepfl egtes Erscheinungsbild, blaue Flecken am Körper oder besondere Verhaltensauffälligkeiten können Zeichen für Vernachlässigung oder Misshandlung sein. Weniger offensichtlich sind meist die Symptome für sexuellen Missbrauch. In jedem Fall müssen Fachkräfte sofort handeln, sobald sich ein Verdacht verdichtet. Überlegtes, umsichtiges und behutsames Vorgehen ist von größter Bedeutung. Die wichtigsten Regeln sind:

  • Keine Suggestivfragen stellen, die die Glaubwürdigkeit des Kindes später gefährden könnten.
  • Angaben des Kindes möglichst wortwörtlich notieren, in jedem Fall jedoch schriftlich.
  • Beobachtungen möglichst genau und mit Zeitangabe dokumentieren, um das Geschehen im Bedarfsfall rekonstruieren zu können. Möglicherweise müssen die dokumentierten Abläufe auch als Beweismittel für die Staatsanwaltschaft dienen, wenn nachgewiesen werden soll, dass alle Entscheidungen nach den Regeln der Kunst und in fachlichem Ermessen getroffen wurden.
  • Stets genau differenzieren zwischen eigener Beobachtung, eigener Einschätzung, Beobachtung und Einschätzung Dritter.
  • Alle Auffälligkeiten dokumentieren, nicht nur die, die mit dem Verdacht in Verbindung gebracht werden.
  • Eltern und Kinder angemessen beteiligen und Handlungsschritte transparent machen, soweit das Kindeswohl nicht entgegensteht.
  • Bei Unsicherheiten Rücksprache ggf. zunächst anonym mit der Fachkraft im Jugendamt nehmen.

Leitlinien für die Vernetzung nach § 8a SGB VIII

Bei allen Fachkräften, die mit Familien, Kindern und Jugendlichen in Kontakt sind, sollten nachstehende Überzeugungen als Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorherrschen:

  • Kinder brauchen aufmerksame Wachsamkeit aller im Hinblick auf mögliche Kindeswohlgefährdungen.
  • Das Jugendamt trägt die Gesamtverantwortung einschließlich der Steuerungsverantwortung. Gleichwohl ist der Kinderschutz eine interdisziplinäre Aufgabe.
  • Effektiver Kinderschutz gelingt nur im Zusammenwirken aller Stellen, Einrichtungen und Dienste. Die enge Verzahnung von Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe spielt in der frühen Kindheit eine besondere Rolle.
  • Vernetzung setzt voraus, dass die eigenen Grenzen im Hilfeprozess erkannt werden und rechtzeitig auf die Kompetenzen der Partner zurückgegriffen wird.
  • Kenntnis und Wertschätzung der Aufgaben und Kompetenzen der Netzwerkpartner ist wichtig, um Eltern und Kinder für die Inanspruchnahme der jeweiligen Angebote zu motivieren bzw. über Verfahren zu informieren.
  • Jeder Netzwerkpartner leistet einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Kindern. Dabei ist die Verantwortung nicht weiterzureichen, sondern gemeinsam zu tragen, unabhängig von der konkreten Verantwortlichkeit für einzelne Schritte.
  • Jede Hilfebeziehung wird wertgeschätzt, geachtet und im Kontakt mit der Familie für die Hilfe und den Schutz der Kinder genutzt.
  • Die Zusammenarbeit mit der Familie ist wichtig, damit das Ziel erreicht werden kann.
  • Fachkräfte dürfen nicht mit der Gefährdungseinschätzung und bei der Methodenwahl allein gelassen werden, sondern bekommen verlässlich – sowie verpflichtend – konkrete Hilfestellungen bzw. fordern diese ein.
  • Klare und eindeutige Vorgaben sind unerlässlich. Sie dienen nicht nur der effektiven Zusammenarbeit, sondern auch dem Schutz der Fachkräfte in den Jugendämtern und bei den freien Trägern der Jugendhilfe.

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