Elternarbeit im Kinderschutz: Standpunkte

  • Arbeit mit Eltern, die nichts von mir wollen und das unter einem großen Handlungsdruck. Ich will einige Standpunkte für die Praxis benennen.

    1. Kinderschutz bedeutet immer Handlungsdruck
    2. Kinder, die beschädigt wurden, wollen meist ihre Eltern behalten
    3. Ohne die Eltern ist meist kein Kinderschutz möglich
    4. Kinderschutz findet in komplexen und chaotischen Situationen statt
    5. Gewalt hat in der Regel mit Überforderung von Familien zu tun
    6. Eltern sind in der Regel ambivalent: Sie wollen und sie wollen nicht
    7. Helfen heißt, nah dran sein: Wir haben ein Nähe-Distanz-Problem
    8. Gewalt ist Grenzverletzung
    9. Gewalt gegen Kinder macht betroffen und ärgerlich: auf die Eltern
    10. Es braucht jemanden außerhalb des Konflikts
    11. Wenn Eltern sich nicht ändern können oder wollen
    12. Zusammenfassung: Denken Sie daran!
  • Wenn wir Gefährdungen vermuten, machen wir uns große Sorgen um die Kinder. Je jünger die Kinder, desto größer die Sorgen. Wir haben Angst, zu viel oder zu wenig zu tun. Das setzt uns unter immensen Druck, engt unsere Aufmerksamkeit ein und beeinflusst unsere Gefährdungseinschätzung. Je näher wir am Kind sind, desto größer ist der Handlungsdruck.

    Also: Ruhe bewahren, nicht alles aussprechen, Zeit lassen, an Standards halten (wenn keine akute Gefährdung vorliegt)! Und: Immer auf heftige fremde und eigene Gefühle vorbereitet sein!

  • Kinder wollen keine anderen Eltern, sie wollen nur, dass sie sich anderes verhalten. Wenn Kinder also von Misshandlungen berichten, sind sie in der Regel äußerst ambivalent und in Loyalität an ihre Eltern gebunden.

    Dies ist für uns kaum fühlbar, wenn wir von den Beschädigungen der Kinder erfahren. Ein erster Impuls ist daher oft ein Trennungsimpuls, der die Bindungswünsche der Kinder außer Acht lässt und - vorschnell umgesetzt-zu zusätzlichen Belastungen für die Kinder führt (symmetrische Eskalation).

    Also: Keine vorschnellen Entscheidungen treffen!

  • Selbst bei der Herausnahme des Kindes ist die Elternarbeit unerlässlich. Kinder kommen oft „ohne die Erlaubnis der Eltern" innerlich in den Einrichtungen nicht an. Sie machen sich selbst für die Trennung verantwortlich und erleben sich als ausgeschlossen. Die Eltern ihrerseits boykottieren die Einrichtung und verlieren den Kontakt zum Kind.

    Wir müssen daher alles dafür tun, selbst in diesen Konstellationen die Eltern für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Um Wirkungen erzielen zu können, bin ich auf Mit-Wirkung angewiesen. Sonst lässt mich die Familie nicht rein, oder wir arbeiten und die Familie sitzt daneben.

    Also: Ziel von Elternarbeit ist immer die Erhöhung der Kooperation! Und: Hilfe ist immer eine Ko-Produktion!

  • Kinder sind ambivalent, Eltern sind ambivalent. Das bedeutet, dass wir ausschließlich mit sehr komplexen Systemen und mit diffusen und chaotischen Gefährdungssituationen zu tun haben. Oft ist überhaupt nicht klar, was die wirklichen Probleme, was Ursachen und Lösungen sind.

    Gerade in Krisen können Helfer(innen) und Eltern hoch projektiv sein. Daher ist die tatsächliche Situation des Kindes oft nicht klar erkennbar.

    Unsere Problemkonstruktion ist also erst einmal immer unsere ganz persönliche, subjektive Einschätzung. Und: Wahrnehmungen und Erklärungen können ganz verschieden sein. Ich muss die Problemsicht bei Eltern erfragen und immer Alternativhypothesen annehmen.

    Also: Die Eltern können auch Recht haben! Und: Ziel der Elternarbeit ist die gemeinsam geteilte Problemkonstruktion!

  • Dies können äußere Belastungen oder auch persönliche Schwierigkeiten sein. Auch wir, die von außen in die Familien kommen, können eine Überforderung sein und so zur Eskalation der familiären Situation beitragen.

    Deshalb: Kleine Brötchen backen, nicht mit Angeboten überfordern!

  • Darauf müssen wir vorbereitet sein, davon können wir ausgehen. Eltern haben ein Recht auf Widerstand, da Veränderung immer ein Risiko ist. Dies zu wissen, macht uns in der Regel nicht so ärgerlich.

    Also: Rechnen Sie mit Widerstand!

  • Helfen heißt, nah dran sein, in Beziehung treten, sich einfühlen können. Ohne Verwicklung keine Entwicklung. Wir müssen zurücktreten und quasi aus der Distanz Risiken und Gefährdungen einschätzen können. Wenn wir Risiken wahrnehmen, müssen wir in den Konflikt gehen. Wir haben also qua Auftrag ein Nähe-Distanz-Problem.

    Viele Hilfebeziehungen zeichnen sich dadurch aus, das der erste Schritt, die Kontaktaufnahme zu Familien gelingt und eine Ankopplung problemlos möglich ist. Wir haben oft mit grenzenlosen Systemen zu tun. Familien saugen uns auf, wir werden Teil des Systems. Der notwendige zweite Schritt, die Individuation in der Beziehung, ist dann nicht möglich. Dies ist oft das eigentliche Problem in Hilfebeziehungen: Konflikte werden nicht geführt, da die Tatsache verschiedener Sichtweisen kränkend ist und zu heftigen Reaktionen der Eltern führt. Meinungsverschiedenheiten werden nicht ausgesprochen und führen zur komplementären Eskalation.

    Wir müssen die Balance zwischen Nähe und Distanz wahren, da viele Kinderschutzfehler auf eine mangelnde Balance in der Hilfebeziehung zurückzuführen sind.

    Also: Verwicklung ist gut, reicht aber nicht!

  • Die Arbeit mit den Familien heißt, an den Grenzen zu arbeiten. Zentral in dieser Arbeit ist aus meiner Sicht die Balance zwischen Nähe und Distanz, zwischen Mitgefühl und Konflikt zu wahren, das Sowohl-als-auch zu zeigen. Empathisch sein und konfrontieren. Mitgefühl haben und an Verantwortung erinnern. Verstehen, was passiert und wie es dazu kommt, und das nicht gutheißen, den Konflikt wagen. Helfen und entlasten und Nein sagen, wenn was nicht geht.

    Mitfühlende Konfrontation ist ein Begriff, der die Haltung beschreibt. Es bedeutet auch, dass Konfrontation nur in einer vertrauensvollen und wertschätzenden Beziehung zu Veränderungen anregt.

    Also: Konfrontation ist gut, braucht aber Beziehung!

  • Notwendige Konflikte um das Wohl des Kindes können leicht eskalieren, ohne dass es dann noch möglich ist, sich in das Gegenüber einzufühlen, die andere Position wahrzunehmen.

    Die eigene Haltung, eigene Wünsche, Ängste, Identifikationen und Emotionen sollten unbedingt in der Supervision oder mithilfe der „insoweit erfahrenen Fachkraft" reflektiert werden (Meta-Position einnehmen).' Nur so können Informationen zu einem Gesamtbild zusammengetragen werden.

    Also: Nehmen Sie inneren Abstand! Und: Versuchen Sie, den Konflikt zu verstehen (Meta-Position)!

  • Ebenso ist es in eskalierenden Konflikten unbedingt notwendig, das Helfersystem als Ganzes zu überprüfen: Wer kann möglichst weit außerhalb des Konflikts an der Seite der Eltern stehen, den Kontakt halten, sich in verschiedene Positionen einfühlen, Brücken bauen und den eigentlichen Konflikt (die eigentliche Beziehungsstörung), den Konflikt zwischen den Eltern und dem Kind, in den Fokus nehmen?

    Also: Es braucht jemanden außerhalb des Konflikts! Und: Besetzen sie die dritte Position, die einen Zugang finden kann.

  • Wenn Eltern trotz aller Bemühungen unerreichbar bleiben, ist das Ausmaß der Gefährdung für die weitere Hilfeplanung maßgeblich. Als fachliche Entscheidung, nicht aus einem Impuls heraus, kann die Inobhutnahme des Kindes familiengerichtlich angestrebt werden. Der Zugang zu den Eltern bleibt auch in diesem Fall eine wichtige Aufgabe für das Hilfesystem.

    Wenn gegen die Inobhutnahme entschieden wird, ist die wesentliche Aufgabe des Hilfesystems die umfassende Unterstützung des Kindes in Freizeit und Schule, um ihm möglichst viele alternative und positive Erfahrungen zu ermöglichen. Auch eine längerfristige Begleitung der Eltern ist notwendig. Dies ist für die Helfer(innen), die erleben müssen, dass die häusliche Situation für das Kind wenig veränderbar ist, eine besondere emotionale Anforderung.

    Also: Nicht alle Eltern sind erreichbar! Deshalb: Sorgen Sie für eine umfassende Unterstützung für das betroffene Kind! Und: Verlieren Sie die Eltern nicht!

  • (A) Kinderschutz bedeutet immer Handlungsdruck
    • Also: Ruhe bewahren, nicht alles aussprechen, Zeit lassen, an Standards halten (wenn keine akute Gefährdung vorliegt)!
    • Und: Immer auf heftige fremde und eigene Gefühle vorbereitet sein!
    (B) Kinder, die beschädigt wurden, wollen meist ihre Eltern behalten
    • Also: Keine vorschnellen Entscheidungen treffen!
    (C) Ohne die Eltern ist meist kein Kinderschutz möglich
    • Also: Ziel von Elternarbeit ist immer die Erhöhung der Kooperation!
    • Und: Hilfe ist immer eine Ko-Produktion!
    (D) Kinderschutz findet in komplexen und chaotischen Situationen statt
    • Also: Die Eltern können auch Recht haben!
    • Und: Ziel der Elternarbeit ist die gemeinsam geteilte Problemkonstruktion!
    (E) Gewalt hat in der Regel mit Überforderung von Familien zu tun
    • Deshalb: kleine Brötchen backen, nicht mit Angeboten überfordern!
    (F) Eltern sind in der Regel ambivalent: Sie wollen und sie wollen nicht
    • Also: Rechnen Sie mit Widerstand!
    (G) Helfen heißt, nah dran sein: Wir haben ein Nähe-Distanz-Problem
    • Also: Verwicklung ist gut, reicht aber nicht! H) Gewalt ist Grenzverletzung
    • Also: Konfrontation ist gut, braucht aber Beziehung!
    (H) Gewalt gegen Kinder macht betroffen und ärgerlich: auf die Eltern
    • Also: Nehmen Sie inneren Abstand!
    • Und: Versuchen Sie, den Konflikt zu verstehen (Meta-Position)!
    (I) Gewalt gegen Kinder macht betroffen und ärgerlich: auf die Eltern
    • Also: Nehmen Sie inneren Abstand!
    • Und: Versuchen Sie, den Konflikt zu verstehen (Meta-Position)!
    (J) Es braucht jemanden außerhalb des Konflikts
    • Also: Seien Sie kreativ! Es braucht jemanden außerhalb des Konflikts!
    • Und: Besetzen sie die dritte Position, die einen Zugang finden kann!
    (K) Wenn Eltern sich nicht ändern können oder wollen
    • Also: Nicht alle Eltern sind erreichbar!
    • Deshalb: Sorgen Sie für eine umfassende Unterstützung für das betroffene Kind!
    • Und: Verlieren Sie die Eltern nicht!


Ralf Slüter Kinderchutz-Zentrum Hamburg Fachberatung im Kinderschutz - Die insoweit erfahrene Fachkraft - Kinderschutz-Zentren - Weiterbildungskurs 2014 - LK MSH

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